Blick in den Argontank von GERDA, in den der Aufbau aus Germaniumdetektoren und Argonveto mit einem speziellen “Aufzug” eingelassen wird. (Foto: GERDA Collaboration)

Blick in den Argontank von GERDA, in den der Aufbau aus Germaniumdetektoren und Argonveto mit einem speziellen “Aufzug” eingelassen wird. (Foto: GERDA Collaboration)

Im GERDA-Experiment sind 35 etwa 1 Kilogramm schwere Germaniumdetektoren verbaut. Die Detektorstränge sind von Fasern des Argonvetos (grün) umgeben, mit denen sich die Untergrund-Strahlung identifizieren lässt. (Bild: Science)

Im GERDA-Experiment sind 35 etwa 1 Kilogramm schwere Germaniumdetektoren verbaut. Die Detektorstränge sind von Fasern des Argonvetos (grün) umgeben, mit denen sich die Untergrund-Strahlung identifizieren lässt. (Bild: Science)

Der Neutrinomasse auf den Fersen

Seit 2010 fahndet das GERDA-Experiment nach einem sehr, sehr seltenen radioaktiven Zerfall: dem neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall, mit dem sich gleich mehrere altbekannte Physikprobleme, zum Beispiel die Frage der Neutrinomasse, lösen ließen. Wie die aktuellen, jetzt in Science veröffentlichten Daten zeigen, lässt dieser Nachweis – und damit eine wissenschaftliche Sensation – aber weiter auf sich warten. Dennoch ist dies ein großer Schritt vorwärts: Das Experiment ist so empfindlich geworden, dass die Halbwertszeit dieses Zerfalls größer als unvorstellbare 10^26 Jahre sein muss (1).

In der Teilchenphysik haben Neutrinos einen Sonderstatus. Warum, erklärt Anna Zsigmond vom Max-Planck-Institut für Physik: „Wenn wir die Eigenschaften dieses Teilchens besser verstehen, können wir einige offenen Fragen beantworten. Ein Beispiel ist die Neutrinomasse: Im Standardmodell der Teilchenphysik ist für das Neutrino keine Masse vorgesehen.“ 

Dem widersprechen jedoch experimentelle Beobachtungen. Bei ihrer Reise durch das Universum wandeln sich die drei bekannten Neutrino-Arten (Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino, Tau-Neutrino) ineinander um – ein Vorgang, für den Masse zwingend erforderlich ist. Diese 2015 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnete Entdeckung war auch die erste, die nicht mit den Vorhersagen des Standardmodells übereinstimmte. 

Teilchen ist gleich Antiteilchen?

Das zweite große Thema beruht auf der Vermutung, dass Neutrinos keine „echten“ Antiteilchen besitzen – im Gegensatz zu anderen Elementarteilchen wie Elektronen oder Quarks. Das Neutrino und das Anti-Neutrino wären demnach identisch. „Diese so genannte Majorana-Eigenschaft verursacht den neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall“, erklärt Zsigmond. „Dabei entsteht Materie ohne ausgleichende Antimaterie. Dieses Missverhältnis könnte uns auch bei der Frage weiterhelfen, warum im Universum kaum Antimaterie zu finden ist.“ 

Nach diesem neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall sucht das GERDA-Experiment im Gran Sasso-Untergrundlabor (Italien). Dieser kann sich in Germanium ereignen – genauer gesagt in einem besonderen Isotop dieses Materials: Germanium-76. Dabei wandeln sich gleichzeitig zwei Neutronen in zwei Protonen um und es werden zwei Elektronen frei, aber keine Anti-Neutrinos. Ein solcher Zerfall würde den theoretischen Definitionen im Standardmodell widersprechen. 

Experiment ohne störende Einflüsse

Um den neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall mit Germaniumdetektoren nachzuweisen, müssen Störereignisse, etwa die natürliche radioaktive Strahlung, auf ein Minimum reduziert werden. Mithilfe verschiedener Techniken ist es dem GERDA-Experiment gelungen, diesen so genannten Untergrund so stark zu verringern, dass er die Empfindlichkeit nicht mehr stört: Die Germaniumdetektoren schweben in einem Tank mit flüssigem Argon, dieser wiederum steht in einem Container mit hochreinem Wasser. Spezielle Sensoren sorgen außerdem dafür, dass sich falsche Signale, die von der kosmischen Strahlung herrühren, erkennen und herausfiltern lassen. 

Damit ist GERDA als erstes Experiment in der Lage, die Existenz des Zerfalls auszuschließen, falls die Halbwertzeit kleiner als 1026 Jahre ist. Das bedeutet, dass sich in einem Zeitraum von 18 Jahren weniger als ein Zerfall pro Kilogramm Germanium-76 ereignen würde.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Neutrinomasse?

Wir wissen, dass das Neutrino mindestens 100.000 Mal leichter als das Elektron ist, das nächstschwerere Teilchen. Die Majorana-Natur könnte diesen extremen Masseunterschied erklären. Kombiniert man die neue, mit GERDA ermittelte Untergrenze für die Halbwertszeit mit der anderer Experimente zum neutrinolosen doppelten Beta-Zerfall, muss die Masse des Neutrinos unter einem Wert von 0,07 bis 0,16 eV/c2 (2) liegen.

Andere Instrumente grenzen die Neutrinomasse ebenfalls ein, allerdings ganz unterschiedlich: Der Planck-Satellit, der die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung des Universums erforscht, kommt auf einen Wert von unter 0,12 bis 0,66 eV/c2 für die Summe der Massen aller bekannten Neutrinoarten. Das Tritium-Zerfall-Experiment KATRIN am Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) untersucht gezielt die Masse des Elektron-Neutrinos und wird in den kommenden Jahren eine Messgenauigkeit von 0,2 eV/c2 erreichen. Zwar kann man kann die Werte all dieser Experimente nicht direkt miteinander vergleichen, aber sie erlauben es, unterschiedliche Modelle zu überprüfen. Bis jetzt lassen sich keine Widersprüche feststellen. 

Aus GERDA wird LEGEND

Die aktuellen GERDA-Daten stammen aus dem Messbetrieb zwischen Dezember 2015 und April 2018; es waren Germaniumdetektoren mit einer Masse von insgesamt 35,6 Kilogramm im Einsatz. Für das Detektormaterial wird Germanium-76, dessen Anteil in der Natur bei 7,8 Prozent liegt, auf mehr als 85 Prozent angereichert. 

Im nächsten Projektschritt, der unter dem Namen LEGEND firmiert, ist geplant, weitere Germaniumdetektoren einzubringen – bis 2021 wollen die Forscher*innen die Gesamtmasse auf 200 Kilogramm hochfahren. Parallel dazu soll der störende Untergrund weiter abgesenkt werden, um die Empfindlichkeit der Messungen auf eine Halbwertzeit von 1027 zu steigern. Damit rechnen die Physiker*innen etwa fünf Jahre nach dem Start 2021.

(1) Die Halbwertzeit gibt an, wann statistisch gesehen die Hälfte aller Teilchen in einem radioaktiven Material zerfallen sind. Das bedeutet aber nicht, dass sich in dieser Zeit ein Zerfall ereignen muss. 

(2) 1 eV/c2 (Elektronenvolt/Quadrat der Lichtgeschwindigkeit) entspricht einer Masse von 1,8 x 10-37 Kilogramm