Bislang ist der neutrinolose Doppelbetazerfall immer noch eine Hypothese. Die vom GERDA-Experiment ermittelte Halbwertszeit für einen Germanium-Kern von mindestens 1,8 × 1026 Jahren liegt weit jenseits der Vorstellungskraft.
„Um diesen seltenen Prozess endlich zu entdecken, muss LEGEND 200 einen noch niedrigeren Untergrundpegel haben als das Vorgängerexperiment GERDA“, sagt Béla Majorovits, der die Forschung und Entwicklung für PEN am MPP leitet und GERDA-Projektleiter am MPP war. „Deshalb benötigt LEGEND zusätzliche Methoden, um Untergrund zu eliminieren, der von natürlicher Radioaktivität oder kosmischer Strahlung herrührt. In der Physik nennen wir solche Nachweistechnologien ‚Vetosysteme‘.“
Hier kommt PEN, ein industrieller Polyesterkunststoff, ins Spiel. Seine Eigenschaften machen ihn für Anwendungen in der Teilchenphysik interessant: Erstens wirkt er als Szintillator: Beim Auftreffen von Strahlung wird ein nachweisbarer Lichtblitz erzeugt. Zweitens verschiebt PEN die Wellenlänge von UV-Licht, wodurch es für die Lichtsensoren sichtbar wird. Nicht zuletzt eignet sich PEN als Material für die Halterungsstrukturen bei tiefkalten Temperaturen, da seine mechanische Stabilität der von üblicherweise verwendetem Kupfer überlegen ist.
Material hilft, falsche Spuren auszusortieren
Die rund 130 Germanium-Detektoren des LEGEND 200-Experiments werden auf transparente szintillierende PEN-Platten montiert. Damit ergänzt PEN die ausgeklügelten Vetosysteme, die für GERDA entwickelt wurden: Dabei dient das hochreine flüssige Argon gleichzeitig als aktives Vetosystem, als passive Abschirmung gegen Umgebungstrahlung und als Kühlmedium für die Germanium-Detektoren.
„Da natürliche Radioaktivität Untergrundsignale in den Germanium-Detektoren hinterlassen können, müssen wir diese minimieren und identifizieren“, sagt Luis Manzanillas, Post-Doktorand in der PEN-Gruppe am MPP. „Wenn wir ein Signal registrieren, das sowohl im flüssigen Argon als auch in den Germanium-Detektoren auftritt, können wir mit Sicherheit sagen, dass es sich um Untergrund handelt. Der neutrinolose doppelte Betazerfall eines Germaniumkerns würde im Argon keine Spuren hinterlassen.“
Störsignale lassen sich also identifizieren, wenn UV-Licht, das im flüssigen Argon erzeugt wird, gleichzeitig mit einem Signal im Germanium-Detektor auftritt. Allerdings können gängige Lichtdetektoren das vom flüssigen Argon emittierte UV-Licht nicht ohne weiteres detektieren. Daher setzt man optische Lichtfasern ein, die in der Lage sind, die Wellenlänge des UV-Lichts zu sichtbarem Licht zu verschieben und es zu den Photosensoren zu leiten. PEN als Material für die Detektorhalter verbessert die Möglichkeit, Licht von Untergrundstrahlung zu identifizieren, die aus der direkten Umgebung des Detektorarrays stammt. Dies war eine der dominierenden noch verbleibenden Strahlungsquellen im GERDA-Experiment
180 PEN-Halter sollen in den nächsten Monaten eingesetzt werden
Die MPP-Gruppe hat das Projekt zur Verwendung von PEN-Trägerstrukturen initiiert und geleitet. Die Halter erfüllen die extremen Anforderungen an die Strahlenreinheit von LEGEND 200. Das heißt, ihre Radioaktivität ist so gering, dass sie selbst mit den empfindlichsten Geräten kaum messbar ist. Mit der Forschung und Entwicklung wurde vor einigen Jahren begonnen. Vor kurzem konnten erste PEN-Platten mit exzellenter Strahlenreinheit hergestellt werden.
Aus diesen hochreinen Platten wurden Leibniz-Instituts für Polymerforschung Dresden Halterungen mit optimiertem Design hergestellt. Kürzlich wurden diese rund 180 PEN-Halter an das LNGS (Laboratori Nazionali del Gran Sasso), den Standort des LEGEND 200-Experiments, geschickt. „Derzeit durchlaufen die Halter Tests zur endgültigen Bestimmung ihrer Radio-Reinheit“, sagt Manzanillas. „Die Halter werden dann in den kommenden Monaten in das Experiment eingesetzt. Wir sind zuversichtlich, dass das LEGEND-Experiment von der PEN-Technologie profitieren wird!“